Große Messestände ziehen die Blicke auf sich. Ein Grund dafür: Einzigartig gestaltete Aufbauten mit interessanten Oberflächen. Vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, wie textiler Messebau ganz praktisch realisiert wird. Was für vielfältige Möglichkeiten bietet er? Wie transportiert er dabei auch die Corporate Identity von Unternehmen? Und wie hat sich die Event- und Messe-Branche in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert? – Einen praktischen Einblick hinter die Kulissen vermittelt Gastautor Kasten Kienel, Fachexperte für textilen Messe- und Sonderbau. (Foto: Messestand VW | Karsten Kienel)

Was bedeutet Corporate Identity für Unternehmen, Zulieferer und Mitarbeiter?

Mein Name ist Karsten Kienel. Ich möchte dieses Thema aus meiner Sicht, der eines Zulieferers im Angestelltenverhältnis, beleuchten.

Ich bin seit 1994 in der Messe, Werbe- und Eventbranche tätig.

In den vergangenen 25 Jahren habe ich eine Entwicklung miterlebt, welche sich von allgemeinen, konventionellen Tätigkeiten in eine hochprofessionelle Branche gewandelt hat. Mittlerweile werden die Projekte generalstabsmäßig geplant und die Strukturen eines Messebau-Unternehmens sind völlig anders als noch 1994.

Dies ist entstanden durch Anforderungen, welche die großen Konzerne und Unternehmen vorgegeben haben, um deren Auftritt auf den Messen, Shows und Events gerecht zu werden.

Ganz wichtig für den Endkunden ist die äußere Darstellung. Es geht um Design, Shows und alles was dazugehört. Es werden keine Kosten und Mühen gescheut um diese Vorstellungen umzusetzen.

Mein Spezialgebiet ist der textile Messe- bzw. Sonderbau. Die auf den Bildern sichtbaren Formen sind alle aus textilen Stoffen gefertigt.

Der Einsatz von Textilien in diesem Bereich hat entscheidende Vorteile: Zum einen das leichte Gewicht, zum anderen ist es möglich, ein großes Spektrum an Formen und Designs anzubieten. Mit der richtigen Be- und Ausleuchtung werden Traumwelten geschaffen. Die Formen sind nahezu unerschöpflich, was die Messepräsentationen so einzigartig und zu einem Erlebnis macht. Nicht umsonst werden diverse Auftritte einiger Aussteller prämiert.

Die Corporate Identity eines Unternehmens prägt sich über gewisse Formen und Designs, die jeweils über einige Jahre bei jedem Auftritt eingesetzt werden. Die Standgrößen und die Ausgestaltung des Messestandes variieren jedoch von Messe zu Messe.
Des weiteren ist es möglich, bei bedruckten Textilien relativ schnell und unkompliziert Fehler auszubügeln oder auch neu zu produzieren.

Powerstretch

 

  • Aufgrund seiner Dehnungs-und Stretchfaktoren lässt es sich hervorragend verarbeiten
  • Bedruckbar – brillantes Druckbild auf glänzender Oberfläche
  • Nahezu jede Form und jedes Design realisierbar
  • Produktionsprozess jedoch sehr aufwändig und Verarbeitung nur durch erfahrene Fachkräfte
Sonderkonstruktion in Trichterform, umgesetzt mit Powerstretch
Südkoreanischer Endkunde auf der CES Las Vegas 2013 | Fotograf: Karsten Kienel

Für die unterschiedlichen Formen, deren Stretchfaktoren vorab berechnet wurden, werden CAD Dateien angelegt. Die Hauptformen werden erstellt und an den Aussenkanten eine Überlänge vorgesehen. Vor Ort werden dann die Formen klar definiert und konfektioniert / herausgearbeitet. Mit Powerstretch ist es möglich, für den Endkunden entsprechend seiner CI spektakuläre Messe- und Aussenauftritte zu realisieren.

Optiluxfolie

 

  • Gummiartig, besteht aus Kunststoff
  • Wird hauptsächlich für hinterleuchtete Flächen eingesetzt
  • Aufprojektion möglich, ähnliche Folien hierfür auch vorteilhaft
  • Geeignet für überdimensional große Rückwände
  • Flächennähte (trotz Hinterleuchtung) so gut wie nicht sichtbar
    (Flächennähte entstehen durch aufwändiges Schweißverfahren – Betriebsgeheimnis)
  • Sehr wärmeempfindlich
  • Aufwendige 3D-Formen nicht möglich
Rautenform aus Rückprojektionsfolie, vor Ort konfektioniert 
- NAIAS Detroit Motorshow 2011/ Endkunde VW | Fotograf: Karsten Kienel

Die Rautenformen wurden mittels kleben und klammern von flachem Kunststoffkeder an den Aussenkanten, die zuvor in die jeweiligen Formen zugeschnitten wurden, konfektioniert. Durch die Hinterleuchtung und der dadurch entstehenden Wärmeentwicklung dehnt sich das Material extrem aus. Innerhalb 24 Stunden können das 15 cm sein.

Opaque, 3-lagig


1. Schicht: Hauptextil, bedruckbar
2. Schicht: gummierte Sperrschicht
3. Schicht: Trägerschicht für Schicht 2

  • Durchleuchtbar
  • Bedruckbar – brillantes Druckbild auf glänzender Textilschicht
  • Sehr guter Dehnungsfaktor in alle Richtungen, daher sehr gut geeignet für Rückwände mit verschiedenen Radien
  • Nicht für Akustiklösungen geeignet, da geschlossene Oberfläche
  • Verarbeitung mit Hohlsaum, Einzug in Kederschiene
  • Konfektion vor Ort mit Keder oder Tacker möglich
Gebogene, abgehängte Rückwand aus 3-lagigem Opaquestoff mit Print und Ausschnitten
Los Angeles Motorshow 2015 / Endkunde VW | Fotograf: Karsten Kienel

Organisieren mit großer Flexibilität

Hauptauftraggeber sind namhafte Automobilhersteller, die global operieren und auf den weltweiten Motorshows tätig sind. Der qualitative Anspruch der Unternehmens ist immens und unbedingte Flexibilität bei den Ausführenden dabei erforderlich.

Organisatorisch ist solch ein Projekt eine große Herausforderung. Die Planungen für das Design übernimmt ein Architekturbüro im Auftrag des Endkunden, dem Hersteller.

Textiler Messebau – praktisch umgesetzt

Es werden mehrere Entwürfe erstellt und zusammen mit den beauftragten Unternehmen eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Diese beinhaltet die Auswahl der geeigneten Textilien so- wie diverser Probeaufbauten im Maßstab 1:1. Zu diesen Probeaufbauten werden die Entscheidungsträger des Endkunden eingeladen um über die Darstellung des Sonderbaus zu beraten. Das Budget, der veranschlagte Zeitrahmen und die Durchführung müssen abgesegnet werden.

Nach der Herstellung der Unterkonstruktion, zumeist aus Aluminium, geht es an die spannendste Aufgabe für alle – auch für die Planer und den Endkunden. Es gilt die finale Endfassung mit der textilen Bespannung herauszuarbeiten. Meine Aufgabe ist nun, die Textilien in ihre endgültige Form zu bringen. Dies beinhaltet die technische Konfektion vor Ort.

Ungewöhnliche Projekte mit spannender Entwicklung 

Über all die Jahre habe ich mir auf diesem Spezialgebiet Erfahrungen für nahezu alle Eigenschaften der verschiedensten Materialien aneignen können. Das ist insofern nicht einfach, weil jedes Material über andere Eigenschaften verfügt. Vom unterschiedlichen Dehnungsfaktor bis zum Stretchfaktor. Für diese Tätigkeit gibt es keinen Lehrberuf, was sehr schade ist, da es eine ausgesprochen faszinierende Arbeit ist.

Es ist spannend festzustellen, ob diese organischen Formen aus Textil tatsächlich dem entsprechen, was die Planer und der Endkunde sich vorgestellt haben.

Denn ein digitaler Entwurf und ein Probeaufbau sind das eine. Doch das komplette Endergebnis das andere. Bei Probeaufbauten der einzelnen Projekte wird nicht das Komplettpaket dargestellt, sondern nur ein größerer Detailausschnitt. Die Dimensionen sind erst nach Fertigstellung im Ganzen sichtbar.

Es freut mich sagen zu können, dass noch kein Kunde vom Endergebnis enttäuscht war. Es ist jedes Mal erneut ein persönliches Erlebnis, Projekte zu gestalten, die nicht alltäglich sind und nur durch ganz wenige Unternehmen realisiert werden können.

Kleines Denkmal für die Corporate Identity 

Die Architekturplaner, Designer aber auch die Endkunden setzten sich mit diesen Schmuckstücken ein eigenes kleines Denkmal. Die Corporate Identity ist mit dem Auftritt gegeben und auch die Pressekonferenzen sowie das kulturelle Rahmenprogramm einer Automotiv-Show runden das Bild für ein Unternehmen ab.

Wer sieht sich und seinen Auftritt nicht gerne in den Nachrichten rund um den Globus? Auch als Zulieferer oder Mitarbeiter können wir daran teilhaben.

Die Globalisierung verändert die Messe- und Event-Industrie tiefgreifend

Doch auch vor dem Messe- und Event-Bereich macht die Globalisierung nicht halt. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, daß in dieser Branche tiefgreifende Veränderungen vor sich gehen: Seien es Zusammenschlüsse, Übernahmen durch andere Unternehmen in diesem Gewerbe oder Kooperationen. Das stärkste Wachstum ist in China festzustellen. In all den Jahren meiner dortigen Aufträge ist zu spüren, wie die dortige Messe- und Event-Industrie im Schnellgang zu uns aufschließt und und uns letztendlich auch schon überholt. Natürlich mit tatkräftiger Unterstützung europäischer Unternehmen, welche dort Niederlassungen gegründet haben.

Auch auf den Messeveranstaltungen finden tiefgreifende Veränderungen statt. Unter anderem gehört die CEBIT in Hannover dazu. So war die CEBIT einmal die weltgrößte Computermesse.

Nun werden ähnliche Veranstaltungen auf der IFA in Berlin oder der CES in Las Vegas durchgeführt.
Vor allem die CES in Las Vegas spielt eine sehr große Rolle. Denn auch die Automobilhersteller präsentieren sich dort und sind sehr breit aufgestellt. Das ist insofern interessant, weil man daran sehen kann, inwieweit die Digitalisierung in allen Bereichen Einzug hält.

Bessere Akustik mit Textilien im Interiordesign

Auch im Interieurdesign wird sehr viel mit Textilien gearbeitet. Zumeist im Zusammenhang mit der Akustik.
Es gilt dabei, die Arbeits-, Wohn- und Lebenssituation zu optimieren. Bei Neu- oder Umbauten kommen sehr harte Materialien wie zum Beispiel Beton oder Glas zum Einsatz. Das sieht optisch in den meisten Fällen sehr ansprechend aus. Doch erzeugen diese Materialien einen sehr großen Nachhall, womit die Situation, z.B. in einem Großraumbüro, sehr schwierig werden kann.

Durch den Einsatz von Akustikschaumstoff und Textilien kann dem ganzen optisch und wirkungsvoll vorgebeugt werden.
Auch hier ist es möglich verschiedene Formen zu erstellen.

Leinwand
Material mit hohem Baumwollanteil


  • Sehr steif
  • Hauptsächlich für Rückwandflächen geeignet
  • Kann bedruckt werden
  • Offenporig und kann daher auch im Akustikbereich eingesetzt werden (Interieur)
  • Faltenfreie Bespannung von grossen Flächen ist sehr aufwändig
Akustikwand aus Basotecschaum mit bedruckter Leinwand bespannt
Umbau der Deutschen Flugüberwachung Bremen 2016 | Fotograf: Karsten Kienel

Messen und Events sind ein große Branche und die Zukunft des Messe- und Sonderbaus sieht gut aus. Somit werden wir auch weiterhin als Hersteller, Zulieferer und Mitarbeiter ein Stück weit dazu beitragen, dass besondere und beachtenswerte Konstruktionen und Bauten für Endkunden – aber auch für Besucher und Design-Interessierte – in besonderer Erinnerung bleiben.

Der Gastautor: Karsten Kienel

Karsten Kienel, geboren 1972 in Stralsund, arbeitete zunächst als gelernter Zimmermann.

Über Umwege wechselte er 1994 in das Messe- und Event-Business.

Seit 2006 ist er auf den Bereich des textilen Sonderbaus spezialisiert.

Er gibt seit Jahren in diesem Bereich Montage-Schulungen – insbesondere für die Big Player im Messebau.

Cornelia Saalfrank auf der biennale di venezia, Fotograf Philippe Jacq
Karsten Kienel
Fotograf: Karsten Kienel